… über Zahlen und Fakten

Drachenbrunnen

2008 veröffentlichte Malcolm Gladwell in seinem Buch „Outliers“ eine Metastudie über Personen, die mit ihren Fähigkeiten weit über anderen stehen.
Mehrmals wies er in seinem Buch auf die „10.000 Stunden-Regel“ hin.
Damit wollte er ausdrücken, dass diese Personen, seien es nun Schachspieler (wir sprechen hier von Weltmeistern), Sportler oder Philosophen länger als 10.000 Stunden geübt haben. (natürlich auch mehr)
Diese 10.000 Stunden Regel wurde im übrigen auch von Matthieu Ricard , dem europäischen Vorzeigebuddhisten geprägt, der sagte, daß erst nach 10.000 Stunden Meditation der Pfad erlangt werden könne.

Nun. „Gut für mich“ könnte ich sagen, denn alles zusammengerechnet bin ich nun mehr als 20.000 Stunden dabei.
Da geht jemand ins Dojo. Sagen wir drei mal zwei Stunden die Woche.
Macht sechs Stunden die Woche, 52 Wochen im Jahr (unter der Voraussetzung, dass Dojo hat das ganze Jahr offen) macht 312 Stunden.
Um die 10.000 Stunden zu erreichen, müsste dieser jemand nun 32 Jahre permanent trainieren.

OK, das siebt jetzt schon mal aus, denn die Turnsaaldojos, halten nicht so lange.
Die seien hier auch nicht mitgerechnet, denn das sind keine professionellen Dojos, in denen jemand seine Schule zur Profession erhoben hat.
Also streichen wir die Hobbysenseis und Hobbysokes.

Ich schreibe hier nur über Menschen, die Ihr Leben einer speziellen Kunst widmen.
Nach mehr als 20.000 Stunden denke ich, daß die obere Regel nicht richtig und konkret genug ist.
In den chinesischen Kampfkünsten gibt es die 9 Jahre Regel.
Diese besagt:
„Die ersten neun Jahre lernst Du von Deinem Lehrer,
die zweiten neun Jahre wanderst Du umher,
die dritten neun Jahre lernst Du wieder bei Deinem Lehrer,
dann wirst Du Meister geworden sein.“

In meiner Schule gibt es verschiedene Meisterränge, und der höchste Rang, mit dem noch Prüfungen verbunden sind, ist der Rang des Okuden Shihan.
„Meister der tief in die Materie eingedrungen ist“ (es heißt noch immer nicht „alles verstanden hat“)
Mein Meister Toyoshima sagte mir: „Ein richtiger Okuden Shihan (kein Ehren-Shihan, wie es soviele gibt) ist erst dann erreicht, wenn der Schüler mindestens zwanzig Jahre lang bei ein und demselben Meister gelernt hat“.

Der Gedanke, dass Meisterschaft an Zeit gebunden ist, ist ein Spezifikum der asiatischen Kultur.
Es herrscht aber ein großes Missverständnis über diese Mentalität.
In Asien gibt es zwei grundlegende Annahmen oder besser gesagt Voraussetzungen im Denken.
Jemand beschließt die Kalligraphie zu seinem Beruf zu machen. Er sucht einen Lehrer und beginnt zu lernen.
Täglich.
So, STOP, erster Punkt.
Ab jetzt herrscht Klarheit darüber, dass der Weg („DO“) nicht mehr verlassen wird.

Wir kennen diesen Zugang im Westen nur selten, da wir der Meinung sind, dass Vielfalt im Lernen Wissen und Können hervorbringt.
Wir denken und lernen es auch so in der Schule, wo es viele verschiedene Lehrer braucht.
Deswegen werden wir auch so viel belehrt. Jeder meint uns belehren zu müssen.
Wir lernen schreiben, lesen, gehen, sprechen. Dann soll uns jemand lieben beibringen, dann soll uns jemand weinen beibringen.
Wir wollen, dass uns jemand LEBEN beibringt.

Nicht so in Asien.
Die zweite grundsätzliche Annahme.
Das unentwegte Studium in ein und derselben Sache birgt gleichzeitig die Schule des Lebens in sich. Es braucht keinen Menschen (Lehrer) in verschiedenen Disziplinen, er braucht ausschließlich die zu lernende Sache.
Meint, und das ist das eigentliche Verständnis vom „DO“ (jap. der Weg), der Stock, das Schwert, der Pinsel, die Blume lehrt mich das Leben.

Daraus wird klar, warum Zeit ein immanenter Faktor in der asiatischen Denkart darstellt.
Und da jeder „Seito“ (jap. Schüler) seine Eigenheiten hat, lernt auch jeder auf seine eigene Art.
Somit findet jeder seinen eigenen „DO“.
Somit gibt es keine Vereinheitlichung, der Lehre, des Menschen, der Kunst.
Denn solche Kunst ist immer speziell, persönlich und authentisch.

Im Westen nennen wir solche Menschen, die ein und dieselbe Sache unentwegt üben, NERDs.
Früher hießen diese Menschen „Fachtrotteln“.
Der Westen betrachtet jemanden wie mich, in seinem Weitblick eingeschränkt, da ich mich seit mehr als einem viertel Jahrhundert nur einer einzigen Sache widme.

Daher meine ich die 10 000 Stunden Regel ist nicht konkret genau ausgeformt.
Es entsteht nämlich der Eindruck, dass man sich nur 10 000 Stunden hinsetzen und lernen muss.
Nein, zuerst muss man eine Entscheidung treffen.
Sich in diese hineinfallen lassen. Alles dafür hingeben.
Danach geht es gar nicht mehr anders, als 10 000 Stunden zu üben.

Weil gar nichts anderes mehr in Frage kommt.
Und „Üben“ heißt körperlich Arbeiten!
Wenn Sie jemanden kennen, der so lebt, dann sollten Sie bei diesem jemanden zu lernen beginnen.
Was können Sie denn schon verlieren?

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