Wir wussten vorher, daß wir dorthin fahren werden. Es war also kein Zufall. Kann man überhaupt „zufällig“ nach Hiroshima kommen?
Mit dem Shinkansen von Kyoto dauert es eine Stunde bis Hiroshima.
Anfangs kam es mir so vor, als stünde die ganze Stadt unter dem Motto „Kommt und seht her, hier war die Atombombe“.
Es gibt einen kostenlosen Shuttletransfer zu den wichtigsten kulturellen Sehenswürdigkeiten der Stadt. Nur zwei, der zehn Stationen, haben mit der Atombombe zu tun.
Die anderen acht Stationen beinhalten, das „Museum of modern Art“ , das Theater der Stadt, und den neu aufgebauten Palast von Hiroshima.
Unser Ziel war klar, der „Atomic Bomb Dome“ . Klang für mich wohl eher nach einer Spielhalle. Anyway, wer in Hiroshima aussteigt, kann sich eine App aufs Handy laden, die einem permanent zeigt wie weit man vom Epizentrum der Atomexplosion entfernt ist.
Wir steigen aus, sehen schon die weltberühmte Kuppel.
Auch jetzt noch ist alles weit weit weg. Respekt und Manieren aber auch eine gewisse Hilflosigkeit, verlangen nach langsamen stetigen Bewegungen und leiser Stimme.
Wir sind nicht die einzigen, logischerweise und so nimmt jeder in Ruhe auf den anderen Rücksicht.
Wir lesen, daß in den 1990zigern die Stadt von Hiroshima den Dome abreißen wollte und es nur einigen Wenigen zu verdanken ist, daß dieses Mahnmal heute noch steht.
Ich drehe mich herum, möchte mir die Leute ansehen, die hier sind. Weg von den Touristen. Und genau gegenüber sitzt ein Japaner liest Zeitung und isst seine mittägliche Bentobox.
Ich wundere mich.
Wir ziehen weiter. Es geht zum Park des Friedens. In diesem befindet sich das Museum. Der Park ist lange und in der Mitte steht die ewige Flamme. Wir alle kennen die Bilder.
Ab jetzt werden Schritte schwerer. Hinter uns singt eine japanische Schulklasse „Amazing Grace“. Wir sind verwirrt.
Bilder aus den Nachrichten gehen in meinem Kopf umher. Ich bin nicht mehr in diesem Garten, ich bin in einer anderen Welt.
Bis jetzt war Hiroshima einfach. Ein Gebäude, kaputt, für immer. Aber jetzt erwartet mich das Museum und ich beginne mich davor zu fürchten.
Was werde ich sehen ? Werde ich es ertragen können?
Ich bin Samurai. Da muss ich jetzt durch.
Das Museum ist klein. Die Aufmachung sachlich und geschichtlich chronologisch. Man lernt die Entstehungsgeschichte der Atombombe genauso kennen, als auch, wie es aus der Sicht Japans zum Abwurf auf Hiroshima kam.
Distanziert sehe ich mir das an. Dann Fotos von den Opfern. Wir alle kennen Sie. Die weltberühmten Utensilien.
Und dann steht dort inmitten kleiner Sitzbänke ein alter Röhrenfernseher. Ein eigener Raum. Nicht sehr hoch. Circa 50 Leute könnten hier Platz nehmen. Momentan sind wir zu zehnt.
Im ganzen Museum schwirren wie Bienen Schulklassen auf Museumstour herum. Aber hier herrscht Stille.
Jetzt.
Jetzt ist es aus.
Die Wucht, die Brutalität, die Grausamkeit trifft dich unvorbereitet.
In diesem Fernseher erzählen Augenzeugen. Ungeschminkt, wahrhaftig, unter Tränen.
Lautes Summen in den Ohren. Es beginnt sich alles zu drehen.
Frische Luft.
Ich will hinaus. Setze mich auf eine Parkbank.
Die mit Worten gezeichneten Bilder des Fernsehers werden real.
Kleine Mädchen in Schuluniform laufen lachend herum. Sie spielen fangen.
Das holt mich zurück.
Wie sonst sollen diese kleinen Menschen mit dieser Tragödie umgehen, die 20 Meter weiter vor so langer Zeit passiert ist.
Ist nicht diese Erwartung alle Menschen hier müssten in ständiger Trauer leben, einfach falsch.
Ein Haiku bringt es auf den Punkt.
Die Ohnmacht darauf keinen Einfluss zu haben, diese Grausamkeit niemals wieder real werden zu lassen, ist es was ich mitgenommen habe.
Das Faktum, dass wir Menschen in der Geschichte hin und wieder nur mit den Folgen umgehen müssen, aber die Ursachen nicht verhindern konnten, wiegt schwer.
Mein geliebter Sohn.
Ich werde Dich immer beschützen.
So gut es geht.