Bushido – der Ehrenkodex der Samurai

Bushido Buch

Das Buch „Bushido“ von Inazo Nitobe hat im Westen große Popularität erreicht. Es wird als Synonym der Seele des Samurai verstanden, was es in Japan selbst nicht ist.
Das Buch wurde 1900 geschrieben, lange nachdem die Samurai als Stand in Japan verloren waren.
Nitobe selbst war sehr gebildet, hatte fünf Doktoren Titel, und reiste im Zuge seiner Studien um die ganze Welt. Von Deutschland, England, USA bis nach Taiwan, wo er für das Kolonialbüro des japanischen Kaisers arbeitete.

Sein Buch über die angeblichen Werte der Samurai wurde im Westen von so manchen politischen Persönlichkeiten gelesen und galt seitdem als „Geheimlektüre“ im Zusammenhang mit Werten und deren Verbreitung unter dem Volk. Darunter Präsident Theodore Roosevelt, Präsident John F. Kennedy und Robert Baden-Powell, der Gründer der Pfadfinder. So wie in den 1980er Jahren Miyamoto Musashis „Buch der fünf Ringe“ plötzlich in allen Managementkursen auftauchte, um die Manager zu Business-Samurai zu machen, so war achtzig Jahre davor eine ähnliche Dynamik zu beobachten.

Innerhalb Japans dennoch wurde Nitobe offen für sein Buch kritisiert. Die eingefleischten, meist adeligen Persönlichkeiten, im Sinne von einer Samuraifamilie abstammend, waren mit dem Bild des Samurai in diesem Buch nicht einverstanden, entsprach doch das Bild des Kriegers vielmehr dem des höfischen Ritters aus Europa als dem des japanischen Kriegers.

Der höfische Ritter Europas war von Moral und Regeln des Königs geprägt. Der Samurai hingegen war einzig für seinen Mut bekannt, unabhängig des moralischen Kodex.
Da Nitobe mit einer Engländerin verheiratet war, oft Europa bereist hatte, selbst der englischen Sprache mächtig und damit belesen war, kam er mit dem Bild des Ritters in Berührung. Daraus ein fiktives Buch zum Thema Samurai zu schreiben, ergab durchaus Sinn.
Man muss Nitobe auch eine gewissen Anhänglichkeit zu Kaiser Meji unterstellen, war es der Kaiser selbst, der Nitobe in die Provinz Taiwan schickte.
Warum also nicht selbst ein höfisches Epos zur Verherrlichung der japanischen Krieger schreiben?
Und so geschah es, dass sich dieses kleine Büchlein über die Jahrzehnte in Europa als Blaupause des japanischen Kriegers manifestierte, was erstens so nie gedacht und zweitens fernab jeglicher Realität war.

Training mit Soke und den Meistern

Ich kam das erste Mal mit diesem Buch Anfang der 1990er in Kontakt. Damals hatte ich schon mit Takeda Ryu begonnen. Gerade mal zwanzig Jahre alt, war ich auf der Suche nach Material über die Samurai. Bücher gab es damals nicht viele und Dokumentationen waren an einer Hand abzuzählen.
Das öffnete natürlich Tür und Tor für jeden halbgebildeten Demagogen. Es reichte in seiner Vita der Kampfkunst einen Japanaufenthalt nachzuweisen und schon galt man als großer Wissender.
Selbst heute noch ist Japan auf der Landkarte der Urlaubsziele der Europäer massiv unterrepräsentiert. Traditionell bewegt sich der Anteil der Japan Reisenden unter den europäischen Urlaubern im einstelligen Prozentbereich. Also ist Japan noch heute für die Meisten Terra Incognita.

Damals, vor mehr als dreißig Jahren war Kampfsport oder Kampfkunst (Sie wissen ich trenne diese Bereiche strikt – bin ja nicht mehr der Jüngste 😉) nichts Elitäres, nichts Feines und vor allem nicht breitenwirksam. Heißsporne, Selbstverwirklicher, oder wie in meinem Falle, junge Menschen auf der Suche nach Führung durch die Pubertät, waren Stammgäste. Dieses kleine Buch, diese wenigen Seiten Fiktion, wurden damals als Korsett, als Regeln eingeführt, um mich und meine Kommilitonen in Schach zu halten. Die „Meister“ mussten sich nie für den Inhalt rechtfertigen, sie konnten sich immer darauf ausreden, was diese auch in großer Zahl taten. 

Als junger Schüler war es uns eigentlich egal. Wir hatten unsere eigenen Probleme, Regel hin oder her, Hauptsache wir konnten trainieren. So funktioniert es auch noch heute. Ohne dass wir es wollten, akzeptierten wir ein Regelkonzept, dass uns dann mit dreißig um die Ohren flog. Erwachsen, im Berufsleben stehend, selbst etwas geschaffen habend, hatte diese Unterwerfung unter ein fremdes kulturelles Lebenskonzept nur mehr den Touch der Lächerlichkeit.
Die „Meister“ hatten nur mehr die „Ehre“ und „Loyalität“ ihnen als Person gegenüber als letzte Waffe, welche wiederum nichts mit der Lebensrealität zu tun hatte.

Das Konzept der Kampfkünste hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten dramatisch verändert. Massiv dazu beigetragen hat, und das sage ich ohne Häme, das Yoga. Über den Umweg des Yoga wurde asiatisches Denken in Europa salonfähig. Man begann sich mit einer komplett fremden Kultur in großer Breite auseinander zu setzen.
Was viele heute nicht mehr kennen ist, dass früher die ersten Yogastudios in Kampfsporteinrichtungen und Fitnesscentern waren. Am Stundenplan stand Kickboxen und danach kam Yoga. Oder Aerobic danach Yogastretching.
Langsam, aber sicher wurde Kampfsport über diesen Umweg breiter bekannt.
Natürlich gab und gibt es auch heute noch die schwarzen Schafe, die in Kampfsport nur den verlängerten Arm zum Abbau ihrer Aggressionen sehen, aber das Gros heute zieht einen anderen Weg vor.

Marie Claire Mallochet

Was früher das Suchen nach Stabilisierung, Aggressionsabbau und Aufbau schwacher und damit anfälliger Persönlichkeiten war, ist heute der Suche nach Selbstperfektion gewichen.
Die Schüler heute, die Menschen heute wollen sich selbst erfahren, selbst spüren und damit für ihr Leben einen Vorteil generieren, der Ihnen im Alltag hilft sicherer und intensiver zu leben.

Der Gedanke des Gegeneinanders hat ausgedient. Wer daher heute mit Regeln aus einem anderen Jahrtausend daher kommt und tatsächlich meint dadurch andere Mensch leiten zu wollen ist auf dem falschen Dampfer.
Das Verstecken hinter fremden Gedanken zum eigenen Wohle ist hinlänglich durchschaut. Hier muss ich auch wieder das Yoga anführen, dass Ende der 2010er Jahre international aufräumte indem deren führende Köpfe wegen Missbrauchs und Falschinformation aus den Studios gejagt wurden.

Die Industrialisierung des Kampfsports weltweit sorgte dann indirekt dafür, dass Quäker und Blender immer mehr von der Bildfläche verschwanden. Die Welt hat sich vernetzt. Selbst wenn ich nicht nach Japan reise, kann ich heute jede Information darüber im Internet finden.
Dieses Finden an Information hat uns das Zeitalter des Vergleichs beschert.
Ob ich will oder nicht, wenn heute jemand in mein Dojo kommt und beginnen möchte, dann ist diese Person vorabinformiert. Hat sich schlau gemacht.

Anfang der 1990er konnten wir uns nicht schlau machen!

Das Buch des Bushido von Nitobe ist reine Fiktion. Nichts davon ist wahr. Nichts davon entsprach dem Kodex der Samurai. Dieses Buch wurde von jemandem geschrieben, der keinerlei Praxis in japanischen Kampfkünsten hatte.
Es war aber auch nicht die Intention des Schreibers dafür missbraucht zu werden.
Das haben Laien und Unwissende für ihn erledigt.

Seien Sie sich bitte darüber gewahr, wenn dann wieder jemand mit der Loyalitätskeule schwingt, um Ihnen vorzuschreiben was zu tun ist, nur um Sie am Wachstum zu hindern, damit Sie nicht besser werden wie Ihr Lehrer.

Ein Mensch, der nach den Prinzipien der Ehre, Loyalität und Ehrlichkeit lebt, braucht keine Vorschrift darüber. Dieser Mensch hat in dem was er tut, wie er es tut und was er damit bewirkt seine Möglichkeiten begriffen. Ein Künstler, egal von welchem Fach, ist ein demütiger Mensch, weil er begriffen hat, dass die Kunst für sich selbst spricht und für sich selbst steht. Und wie unwichtig er selbst in ihrer Erhaltung geworden ist.

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